Datenschutz im Betrieb

Behörden unter Druck: Datenschutzbeschwerden häufen sich drastisch

Unmittelbar nach Inkrafttreten der DSGVO geriet eine andere Problemzone kurzzeitig aus dem Blickfeld: die Datenschutzbeschwerden der Bürger.

Im Juni zehnmal höheres Aufkommen von Bürgerbeschwerden

Bereits im Juni – einen Monat nach Umsetzung der DSGVO – hatten sich Medien bei den Aufsichtsbehörden erkundigt. So berichtete beispielsweise die Welt am Sonntag, dass die Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Bundes und der Länder in diesem Zeitraum ein bis zu zehnfaches Aufkommen an Anrufen, Briefen und E-Mails registrierten. Der Auslöser: besorgte Bürger, die auf potenzielle Datenschutzverstöße von Unternehmen hinwiesen.

Aber auch Unternehmen selbst meldeten sich bei den Datenschützern, denn sie vermissten personenbezogene Daten auf ihren Speichermedien. Dieser Ansturm dürfte erwartungsgemäß und einkalkuliert gewesen sein. Er hat sich inzwischen leicht abgeschwächt, liegt aber immer noch auf einem wesentlich höheren Niveau als vor dem 25. Mai 2018. Von einer Verdreifachung ist mit Beginn des Sommers länderübergreifend die Rede.

Datenschutzverstöße in den sozialen Medien meisteingereichte Beschwerde

In den meisten Beschwerdefällen waren weniger Konkurrenzunternehmen als vielmehr Privatpersonen wortführend. Zu den am häufigsten genannten Missständen der Bürger zählten vermutete Datenschutzverstöße in sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook. Dicht gefolgt von Befürchtungen angesichts von Videokameras auf öffentlichen Plätzen, in Geschäften oder gar beim eigenen Nachbarn. Hingegen meldeten viele Firmen bereits innerhalb der vorgeschrieben 72-Stunden-Frist zahlreiche Datenverluste oder Hackerangriffe.

Nach Einschätzung der Landesdatenschützer offenbarten die eingereichten Beschwerden eine große Unsicherheit bei den Verbrauchern. Der Landesdatenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern hat in diesem Zusammenhang auf die Praxisferne hingewiesen, die beispielsweise nach Art. 13 DSGVO einen Pizzabäcker mit Lieferservice verpflichte, jeden anrufenden Kunden über die Art und Weise der Datensammlung, -speicherung und -verarbeitung in seinem Betrieb zu informieren.

Beschwerdeflut hält nach wie vor an

Die in Gang gesetzte Entwicklung dieser Beschwerden scheint vorerst unaufhaltsam. 100 Tage nach Einsetzen der DSGVO berichtete der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar dem Handelsblatt: „Verglichen mit den 1.600 Eingaben im gesamten Jahr 2017 schlagen derzeit schon 5.100 zu Buche.“ Bis August zählte die Landesbeauftragte für den Datenschutz Nordrhein-Westfalen 7.100 schriftliche Eingaben; allerdings seien darunter auch unverbindliche Beratungsanfragen. Hingegen flossen die vielen telefonischen Anfragen gar nicht erst in die Statistik ein. Andere Bundesländer konnten nach 100 Tagen mit ähnlichen Werten aufwarten. Besonders dramatisch hat sich die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk ausgedrückt, die von einem „exorbitanten“ Beschwerdeanstieg in der Hauptstadt sprach.

Mitspracherecht der Bürger als Beweggrund vieler Anfragen

Neben der bereits erwähnten Unsicherheit wird das durch die neue DSGVO gewährleistete Mitspracherecht der Bürger als wichtiger Grund für viele Beschwerden genannt. Seit das Thema Datenschutz stark in den Medien präsent ist, entwickeln viele Menschen ein gesteigertes Bewusstsein dafür, auf welche Weise ihre Daten abgefragt und hinterlegt werden und was mit ihnen geschieht.

Das „Recht auf Vergessen“ kennen mittlerweile auch viele Endverbraucher. Es führt unter anderem zu Anfragen, ob denn strittige Informationen von Unternehmen gelöscht worden seien. Und auch das Auskunftsrecht werden viele Bürger in Anspruch nehmen, um sich ein eigenes Bild inmitten der medialen Datenschutz-Hysterie zu machen. Von den Unternehmen, die sich bei den Datenschutzbehörden melden, sind es vor allem Kleinbetriebe oder Arztpraxen, die aufgrund der Fragen ihrer Kunden aktiv werden, weil sie etwa über nur unzureichende Kenntnisse zur Informationspflicht verfügen.

Datenschutzbehörden an der Grenze ihrer Kapazitäten

Aufgrund der Erfahrungen der letzten Wochen können Datenschützer wohl davon ausgehen, dass sowohl der große Beratungsbedarf als auch das hohe Beschwerdeaufkommen vorläufig unverändert bleiben. Und obgleich es sehr positiv ist, dass die Bürger ihre wichtigen Rechte in Anspruch nehmen, leiden die Datenschutzbehörden unter der derzeitigen außerordentlichen Belastung. Nach nur wenigen Wochen der neuen Rechtslage sind die Kapazitäten der Behörden vollends ausgelastet.

Viele Anfragen und Beschwerden sind augenscheinlich derart komplex, dass deren Beantwortung oder Bearbeitung viel Zeit benötigt und Personal bindet. Hamburgs oberster Datenschützer warnt jedenfalls davor, dass die herausfordernden Aufgaben für seine Behörde ohne Mitarbeiterverstärkung bald nicht mehr zu bewältigen sein werden. Die Behörden monieren ohnehin, dass sie das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit des neuen europäischen Datenschutzrechts mit voller Wucht getroffen hat. Wenn die staatlichen Aufsichtsbehörden indes nicht in der Lage seien, befürchten führende Datenschützer, die gesetzlichen Regelungen auch durchzusetzen, hätte die DSGVO in den Augen der Bürger nur symbolischen Wert.

Aus diesem Grund werden immer mehr Forderungen laut, die Datenschutzbehörden seitens der Politik nicht im Regen stehen zu lassen. Der Druck von außen hat bereits Konsequenzen: Unternehmen, Selbstständige und Vereine – an sich klassische Ansprechpartner der Datenschützer – finden immer weniger Unterstützung durch die eigentlich primär für ihre Belange zuständige Behörde. Beratungen entfallen, weil zahllose Beschwerden erfasst werden müssen. Diese Verschiebung der Präferenzen dürfte den Gesetzgebern genauso wenig gefallen wie den Unternehmen. Noch deutet nichts auf ruhigere Zeiten hin.

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