Datenschutzwissen

Datenschutz contra wirksame Corona-App – ein Beitrag zur Debatte

Als Fachportal ist es uns wichtig, den Datenschutz in seiner Bedeutung für eine funktionierende Gesellschaft zu würdigen und zu fördern. Das beinhaltet allerdings auch kritische Sichtweisen, wenn sie angebracht sind.

Als wir im Oktober 2020 das 50-jährige Jubiläum des modernen Datenschutzes feierten – erstmals im hessischen Datenschutzgesetz verankert – litt die Weltbevölkerung bereits unter der Corona-Pandemie. Seitdem haben sich aus Gründen des Seuchenschutzes staatliche Ad-hoc-Eingriffe in die Grundrechte gehäuft. Grundrechte, die über Jahrzehnte nie zur Diskussion standen, sind auf einmal umfassend eingeschränkt. Und hier erhebt sich eine Frage, die nicht nur Politiker, Behördenleiter, Juristen und Journalisten, sondern auch viele mit den harten Lockdown-Einschränkungen konfrontierte Bürger bewegt: Wie kann es ein, dass verfassungsrechtlich verbriefte Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, der Datenschutz bei der Bereitstellung einer App aber wichtiger ist, als eine wirksame Bekämpfung einer Infektion, die Menschenleben gefährdet?

Datenschutzhoheit wichtiger als Menschenleben?

Noch nie waren die Bürger hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg mit Einschränkungen Ihrer Freiheitsrechte konfrontiert, wie es aktuell der Fall ist. Beinahe im Wochen-Rhythmus kommen schmerzhafte Einschränkungen hinzu. Da fordert der Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft Ingo Wortmann ein Schweigegebot in U- und S-Bahnen, der DGB und die Gewerkschaft Ver.di Homeoffice-Kontrollen und der Epidemiologe Gerald Gartlehner einen Bewegungsradius von nur einem Kilometer. Regelmäßig werden beschlossene Maßnahmen von Gerichten als nicht verhältnismäßig kassiert, andere unter namhaften Staatsrechtlern als grundgesetzwidrig bezeichnet. Die Medien beschäftigen sich täglich mit den Folgen der Beschränkungen und ihrer Wirksamkeit. Einzig beim Datenschutz und der Corona-App gibt es augenscheinlich nichts zu rütteln.

Die prominenten Befürworter einer Datenschutzlockerung sind unter anderen der Staatsminister a. D. und jetzige Hochschullehrer Julian Nida-Rümelin oder der Tübinger OB Boris Palmer, sie fordern ein Überdenken der jetzigen Sichtweise. Denn mit etwas weniger Datenschutz wären Infektionsketten schlicht deutlich besser nachzuverfolgen. Als Vorbild werden asiatische Staaten, wie Südkorea oder Taiwan, genannt, deren Bürger zwar keine Datenschutzrechte nach europäischem Maßstab genießen, dafür aber ein von vielen Beobachtern als vorbildlich erkannten Corona-Krisenmanagement. Nida-Rümelin ließ es in einem Interview dazu nicht an Deutlichkeit fehlen: „Dass in Deutschland auf diese Möglichkeiten verzichtet und stattdessen bald 50.000 Tote, über zwei Millionen Infizierte, massive Arbeitsplatz- und Eigentumsverluste akzeptiert wurden, ist auf ein Phänomen zurückzuführen, das besonders hierzulande grassiert und als „Datenschutz-Absolutismus“ bezeichnet werden kann.“ Damit sieht Nida-Rümelin die Gefahr einer Diskussion auf einer überhöhten Ebene, die der realistischen Situation kaum Beachtung schenkt.

Fast schon lächerlich mutet die aktuell hinzugekommene Tagebuch-Funktion der App an. Sie ermöglicht das freiwillige Notieren von Begegnungen. Fragt man als User dann beispielsweise andere Zugreisende nach Namen und Telefonnummer und bittet selbstverständlich um eine datenschutzkonforme Einverständniserklärung? Kein geringerer als Markus Söder hat sich zum Begriff des „zahnlosen Tigers“ hinreißen lassen, und durchblicken lassen, dass die sogenannten „Datenschutz-Hindernisse“ einer Überprüfung zugeführt werden sollen.

Eine funktionierende App ließe sich datenschutzrechtlich gestalten

Nach Ansicht von Anwälten ist Grundlage des Datenschutzes das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Wie fast jedes Recht kann auch dieses eingeschränkt werden. Es besteht also keine Unantastbarkeit des Datenschutzes. Das Grundrecht, welches die Menschenwürde schützt, könnte aber zum Beispiel nicht durch ein Gesetz eingeschränkt werden.

Nach Art. 9 Abs. 2 lit. i) DSGVO erfährt die Unzulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten als Grundsatz eine Einschränkung, wenn diese Datenverarbeitung „aus Gründen der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden Gesundheitsgefahren (…) erforderlich“ ist und ein „erhebliche(s) öffentliche(s) Interesse“ vorliegt. Kommentare bestätigen das Zugrundeliegen des ersten Sachverhalts, die Stimmung im Land die des zweiten. So dreht sich die aktuelle Diskussion weiter um die Erörterung des Problems, warum die Bundesregierung von der Nutzung der neusten digitalen Möglichkeiten absieht, dafür aber in andere Lebensbereiche eingreift. Zur Erinnerung: Deutschland – und darauf kann unser Land stolz sein – hat seinerzeit den Datenschutz vor allem deshalb ins Leben gerufen, um seine Bürger vor einem missbräuchlichen Umgang mit ihren Daten zu schützen. Im Extremfall könnte das aber auch dazu führen, dass der Datenschutz als wichtigeres Prinzip angesehen wird, als die Gesundheit der Bevölkerung, die gerade massiv gefährdet ist.

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